Eindrücke und Blitzlichter der Tagung „Die Kirchen und der Populismus. Interdisziplinäre Recherchen in Gesellschaft, Religion, Medien und Politik“, 10.-12.9.2018 in Darmstadt. Veranstalter waren die Schader-Stiftung, die Konferenz deutschsprachiger Pastoraltheolog/innen, die Fachgruppe Praktische Theologie der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie, mehrere wissenschaftliche Gesellschaften, die Evangelische Kirche in Deutschland und andere.
Es gibt einen Zusammenhang zwischen Kirchensteuer und Kirchenaustritt, die Kirchensteuer ist dabei jedoch eher Auslöser als tatsächliche Ursache für einen Kirchenaustritt. Die wesentlichen Gründe für Kirchenaustritte sind „Entfremdung“ und „fehlende Bindung“.
Die Qualität der Seelsorge in den Gemeinden vor Ort ist für viele Kirchenmitglieder entscheidend: Die Erfahrungen gerade im Zusammenhang mit besonders persönlichen Gottesdiensten wie einer Taufe, Trauung oder Beerdigungen sind für sehr viele Kirchenmitglieder ein wichtiges Kriterium. Viele Gläubige leitet dabei ein „Kosten-Nutzen-Kalkül“, heißt es in der Studie: Wenn etwa positive Erfahrungen bei der Erstkommunion der Kinder durch schwerwiegende Enttäuschungen getrübt werden, kippe die „Waage“ auf die negative Seite und ein Austritt sei oft die Folge.
Eine besondere Herausforderung nennt die Studie die bewusste Hinwendung der Kirche zu den Menschen, die wenige oder keine kirchliche Angebote nutzen, diese aber mit ihren Kirchensteuern finanzieren. So liegt der Anteil der Gottesdienstbesucher bei den regelmäßigen Zählungen bei nicht einmal zehn Prozent der Kirchenmitglieder. Die anderen mehr als 90 Prozent erfahren eher wenig Beachtung. Hier plädiert die Studie für neue Wege der Beteiligung, eine verbesserte Erreichbarkeit von kirchlichen Institutionen und regt ein professionelles Mitgliedermanagement an.
Einen besonderen Fokus sollte die Kirche zudem auf die Gruppe der 25- bis 35-Jährigen legen – in diesem Alter ist die Zahl der Kirchenaustritte besonders hoch.
Entscheidend ist aus Sicht der Studie zudem das „Erscheinungsbild der Kirche", das mit einer „nicht mehr zeitgemäßen Haltung“ verbunden ist. Die Kirche müsse massiv an ihrem Image von Rückschrittlichkeit arbeiten, wenn sie Austritten entgegenwirken wolle. Dabei dürfe es – etwa in den Bereichen Macht- und Hierarchiewahrnehmung sowie Sexualmoral – nicht nur um die „Verpackung“ gehen, sondern um den eigentlichen Inhalt, zum Beispiel beim Umgang mit Homosexuellen oder wiederverheirateten Geschiedenen.
Stichwort: „Kirchenaustritt – oder nicht?
Das Buch „Kirchenaustritt – oder nicht? Wir Kirche sich verändern muss“ erscheint unter der ISBN 978-3-451-38071-6 im Herder-Verlag und ist für 25 Euro im Buchhandel erhältlich.
Wort auf dem Weg aussäen
Säen – nicht pikieren!
Ein Kollege verteilt am Ende einer Tagung Samenkugeln mit dem Hinweis, sie irgendwo hin zu säen, wo es schön wäre, wenn etwas Farbiges wachsen würde. Ich habe diese Samenkugel an einem Grünstreifen zwischen Straße und Gehsteig ausgestreut. „Blumen wären da schön“ habe ich mir gedacht und ich habe auch drauf geachtet, dass die Erde feucht ist. (Keine allzu schwierige Bedingung in diesem Mai…) Mit einer großzügigen, weiten Armbewegung habe ich den Samen verteilt. Säen ist eine besonders einfache, zurückhaltende und großzügige Methode, etwas wachsen zu lassen.
Als Kind musste ich im Garten oft beim Pikieren helfen. Kleine Pflanzen werden vorsichtig voneinander gelöst, gut vorbereitete hochwertige Erde kommt in einen Topf, ein Loch wird „gestochen“ (pikiert), da hinein wird der kleine Setzling gepflanzt. Das Wachsen der Pflanze wird mit Wärme und Gießen begleitet und gefördert.
Die Gleichnisse Jesu handeln vom Säen, nicht vom Pikieren. In unserer Vorstellung sehen wir Gott als jemanden, der/die großzügig und leicht die Saat verteilt. Gegenwärtige Anstrengungen in der Verkündigung lassen eher Bilder vom Pikieren vor meinen Augen erstehen. Da wird möglichst wenig dem Zufall überlassen. Einzelne Pflanzen werden mühe- und liebevoll gehegt. Rundherum wird gehackt, gedüngt und gezupft.
Säen geht anders. Großzügig greift man ins Saatgut und der Erfolg des Wachsens bekommt nicht so viel Aufmerksamkeit (Mk 4,26–29 „…der Samen keimt und wächst, und der Mann weiß nicht, wie.“). Und Jesus betont in seinen Erzählungen auch den Umstand, dass das Nicht-Keimen, Nicht-Gedeihen einkalkuliert ist. In Mk 4,3-20 beschreibt Jesus in einem Gleichnis vier verschiedene Bodenqualitäten, auf die das Saatgut fällt: den Weg, den felsigen Boden, die Dornen und die fruchtbare Erde. Der Sämann fokussiert sich nicht auf den guten Boden. Die Jünger bitten Jesus um eine Auslegung dieses Gleichnisses. Jesus tut das. Interessant dabei ist, welche Konsequenzen er selbst aus dieser Sä-Geschichte zieht. Gar keine! Eine naheliegende Schlussfolgerung wäre doch: „Seid sorgsam, seht zu, dass das meiste auf fruchtbarer Erde landet. Das Saatgut ist kostbar! Ihr seid MitarbeiterInnen Gottes. Eure Arbeitszeit und –energie ist kostbar!“ Jesus zieht diese Schlussfolgerung nicht und auch keine andere. Er beschreibt schlicht und einfach mit diesem Gleichnis, wie die Verkündigung des Reiches Gottes vor sich geht: Gott selbst ist hauptverantwortlich für das Wachsen und Gedeihen seines Reiches und die Resonanz der Menschen darauf ist unterschiedlich. Basta.
Das Säen ist eine besonders einfache, zurückhaltende und großzügige Methode – und es erscheint mir auch als eine gewaltfreie Methode. Manche Formen gegenwärtiger Intensivpastoral erinnern an das Pikieren. Von Menschen, die Opfer geistlichen Missbrauchs sind, wissen wir, dass sie sich gedrängt und manipuliert fühlen; dass das Eigeninteresse des Seelsorgers / der Seelsorgerin ihnen als Gottes Wille verkündet wird; dass ihr (zaghaftes) Wehren und Aufbegehren als Widerstand gegen den Heiligen Geist gedeutet wird.
Es kann manchmal ein schmaler Grat sein zwischen „nachgehender Seelsorge“, Manipulation und Missbrauch. Die Freude an der Haltung des Säens, das Vertrauen in die Qualität des Saatgutes, die Gelassenheit bezüglich des Erfolgs – ein gutes Bild für das neu beginnende Arbeitsjahr.