Konfliktkultur: Eifer - Die Vertreibung der Händler aus dem Tempel
„Jesus ging in den Tempel und begann, die Händler und Käufer aus dem Tempel hinauszutreiben; er stieß die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler um und ließ nicht zu, dass jemand irgendetwas durch den Tempelbezirk trug.“ (Mk 11,15b-16)
Evangelium:
Vertreibung der Händler aus dem Tempel (Mt 21,16-17, Mk 11,15-19, Lk 19,45-48, Joh 2,13-22)
Jesu Sanftmut hat seine Grenzen, was sich an dieser Stelle drastischer als bei diversen Streitgesprächen zeigt. Es geht nicht um seine Person, sondern um einen skandalösen Zustand: die Entweihung des Tempels durch die Tätigkeit von Händlern und Geldwechslern, die wohl nicht immer so ganz ehrlich gewesen sein dürften (warum sonst der Vergleich mit einer Räuberhöhle, siehe auch Jer 7,11a?: „Ist denn in euren Augen dieses Haus, über dem mein Name ausgerufen ist, eine Räuberhöhle geworden?“)
Es gibt Situationen, in denen man aus christlicher Sicht den Konflikt suchen muss. Die Entschlossenheit Jesu ist ein Beispiel für ein entschiedenes, klares und kompromissloses Auftreten. Natürlich gibt es in der Zwischenzeit andere Konfliktregeln als zur Zeit Jesu. Gesetze und Vorschriften eines Rechtsstaates müssen eingehalten werden. Aber auch in unserem hochentwickelten System ist das nicht vollkommen, sodass Kritik und manchmal sogar Missachtung aufgrund eines Vorrangs der Botschaft Gottes angebracht sein können. Beispiele: die im Dritten Reich mögliche Verdrehung von Recht im Namen des Rechts in massives Unrecht; oder heute: manche ideologieanfälligen Urteile, die Religionsverhöhnung als Freiheit der Kunst betrachten.
In seinen Auseinandersetzungen hat Jesus nichts mit offensichtlichen Gesetzesbrechern zu tun. Die Konfliktfelder liegen im Bereich gesellschaftlicher und sogar religiös akzeptierter Verhaltensweisen, die aber de facto eine für das Wort Gottes hindernde Atmosphäre schaffen. Eindeutig ist dies, wenn der Weg zum bzw. von der Andacht des Betens mitten durch vermutlich schreiende, feilschende, vielleicht unehrliche Händler geht, denen das Wesentliche – die religiöse Feier des Festes – egal ist, in deren Rahmen sie sich aber befinden.
Die härtesten verbalen Auseinandersetzungen Jesu drehen sich um Heuchelei (Mt 23,27-28, Mt 12,40, Lk 12,1, Lk 11,46, Lk 12,45) und um religiöse Engstirnigkeit (Mt 23,34-35). Diese Attacken Jesu klingen für einen heutigen Leser entweder allzu pauschal oder sie lassen sich immer auf andere anwenden.
Weiters ist zu beobachten, dass in der Frohbotschaft ein nicht kleines Maß an „Drohung“ steckt. Hier ist (besonders bei Mt 23 und Lk 11,39-52) die literarische Gattung der „prophetischen Drohrede“ zu beachten. Es sind außergewöhnliche Worte, die in dramatischer Form gegen das Unrecht gesprochen werden. Keine präzise, ausgewogene, sachliche und scharfsinnige Bloßstellung von Unrecht geschieht hier, sondern eine leidenschaftliche, mitreißende, programmatische, aufrüttelnde Rede wird gehalten; vielleicht als eines der letzten Mittel, die Verstockung einzelner aufzubrechen.
Eine christliche Konfliktkultur muss wohl auch dieses Mittel kennen, leidenschaftlich das mit Gott Unvereinbare hinauszuschreien, an Uneinsichtige zu appellieren und ihnen die letzten Konsequenzen ihres Verhaltens drastisch vor Augen zu führen. Wo das nichts hilft, verhärten und verdeutlichen sich nur jene Fronten, die vorher schon da waren.
Es gibt für den Glauben Gegensätze, die unvereinbar sind. Wenn diese im Alltag zunächst von geringfügiger Bedeutung sind, führen sie im großen Stil zur Katastrophe. Die Missachtung von Religion, eine allgemeine Heuchelei und Engstirnigkeit sind nach der Heiligen Schrift dramatische Herausforderungen für einen Christen. Das kann nicht heruntergespielt werden, ohne gleichzeitig die eigene Berufung zur Nachfolge Jesu zu verleugnen. Man muss sich stellen. Jetzt.