Konfliktkultur: Barmherzigkeit - Jesus und die Ehebrecherin
„Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ (Joh 8,11b)
Evangelium:
Jesus und die Ehebrecherin (Joh 8, 1-11)
Die Heilung eines Blinden (Joh 9,1-12. 35-41)
Etwa in der Mitte dieser Bibelstelle steht der Satz (Joh 8, 7b) „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie“. Die Situation insgesamt ist vielschichtig. Den Pharisäern geht es nicht um die Lösung eines Gerichtsverfahrens, sondern um eine Probe für Jesus. Spricht er die Sünderin frei, verstößt er gegen das Gesetz, verurteilt er sie, widerspricht er seinem Anspruch, über dem Gesetz zu stehen.
Man könnte Jesu Gelassenheit, Unbeirrbarkeit und Schlagfertigkeit bewundern. Sein Schreiben in der Erde ist etwas rätselhaft, wirkt aber wie eine gekonnte, dramaturgische Eingebung, über die sich jeder Regisseur freuen würde.
Es gibt eine zweite Szene, in der Jesus die Finger in die Erde taucht. Anschließend heilt er einen Blinden (Joh 9, 1-12), der dadurch zum Glauben an ihn kommt (Joh 9, 35-41). Wenn man hier einen Zusammenhang sieht, erscheint die Episode mit der Ehebrecherin wie eine Vorbereitung auf die genannte zweite Szene. Jedes Mal dreht Jesus die Rollen um. Die verurteilte Frau, der ausgestoßene (Joh 9,34), geheilte Blinde werden sehend, in einem realen und in einem tieferen Sinn bzw. sie haben die Chance dazu. Was ihnen widerfährt, öffnet die Tür zu einem neuen Leben und zum Glauben. Die Ankläger hingegen sehen sich plötzlich selbst als Schuldige bzw. als Beschuldigte. Ziehen sie zuerst noch beschämt die Konsequenzen (oder verschwinden sie aus Ärger über die missglückte Falle?), so werden sie später deutlicher mit Jesu Vorwurf der Blindheit konfrontiert. Das wollen sie nicht verstehen. Mit dieser Wahrnehmungsverweigerung werden sie für ihre Blindheit verantwortlich. Somit entschuldigt sie nichts mehr und ihre Sünde bleibt.
Wie das Leben der Ehebrecherin bzw. des Geheilten weitergeht, erfahren wir nicht. Haben sie den Neuanfang durchgehalten und die Sünde gemieden? Sind sie in die alten Fehler oder in eine matte Durchschnittlichkeit zurückgefallen? In der Stunde der Begegnung mit Jesus wird ihnen ihr Leben neu in die Hand gegeben. Es liegt an ihnen, das Beste daraus zu machen.
Eine christliche Konfliktkultur mahnt zur Auseinandersetzung mit sich selbst, um die eigenen Sünden und die eigenen blinden Flecken wahrzunehmen. Die Kriterien des Gesetzes erweisen sich als mangelhaft, nicht zuletzt, da ihre Handhabung vorurteilsbehafteten Menschen obliegt. Daher möge man bei gesetzlichen Regelungen gut deren konkrete Anwendung überlegen. Sie sollen im Sinn Gottes nicht zum Tod oder zum Ausschuss führen, sondern zum Leben, zur Versöhnung, zum Neuanfang. Das ist ihr Sinn, der ihnen immer neu gegeben werden muss.
In der Souveränität über das Gesetz zeigt sich Jesu Vollmacht. Er hebt kein Gesetz auf (Mt 5,17), aber er muss in Anwendung und Durchführung vom Willen Gottes durchdrungen sein, da dieser der tiefste Grund jeder menschlichen Ordnung sein soll. In diesem Zusammenhang stehen die zahlreichen Auseinandersetzungen zum Thema Gesetz.
Schlimmer als eine schwere Sünde ist die Haltung der Blindheit, die eine Umkehr praktisch unmöglich macht. Hier stößt Jesus an seine Grenzen.
Eine christliche Konfliktkultur muss damit rechnen, dass Betriebsblindheit, Vorschriftsgehorsam u.ä. menschengerechte Lösungen verhindern.
Ab und zu gibt es jedoch Einsicht (Joh 8,9), es wird mit dem Maß der Menschlichkeit gemessen und es gelingt, jemanden voll und ganz in die Gemeinschaft zu integrieren. Ein anderes Mal bleibt jemand ausgestoßen und muss sein neues Leben als Außenseiter führen. Ihn mag der gefundene Glaube stärken und es ist zu erwarten, dass ihn dieser mit anderen Glaubenden zu einer neuen Gemeinschaft zusammenführen wird. Sicherlich wird eine christliche Konfliktkultur nicht verurteilen und das Steine-Werfen unterlassen. Es geht um eine Hilfe für Menschen, was manchmal Konflikte herausfordert.