Konfliktkultur: Verweigerte Vergebung - Das Gleichnis vom unbarmherzigen Samariter
„Hättest nicht auch du mit jenem, der gemeinsam mit dir in meinem Dienst steht, Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte?“ (Mt 18,33)
Evangelium:
Pflicht zur Vergebung (Mt 18,21-22, Lk 17,4)
Gottes Bereitschaft zur Vergebung ist grenzenlos. Aber er erwartet dieselbe Haltung von allen, die „in seinem Dienst“ stehen, d.h. von denen, die nach dem Evangelium leben wollen. Kleinliches Aufrechnen von Schuld – angesichts Gottes großzügiger Vergebung – ist ein Widerspruch (vgl. Mt 7,3: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?“)!
Eine christliche Konfliktkultur erinnert hier zunächst an die eigene Schuld. Sie mahnt, diese zu erkennen, zu bereuen und dankbar über deren Vergebung zu sein. Das setzt die Sensibilität und die Erfahrung bezüglich einer „unverdienten“ Versöhnung voraus. Dann kann dies tatsächlich als Geschenk und als Befreiung erlebt werden.
Es ist möglich, trotz einer geschenkten Vergebung im Innersten davon unberührt zu bleiben. Man ist zwar dankbar und erfreut, aber nicht ergriffen. Und damit kann aus dieser Verzeihung, die nicht wirklich „erfahren“ wurde, nichts weitergegeben werden. Dies scheint bei dem unbarmherzigen Schuldner in diesem Gleichnis der Fall zu sein. Man hat nachträglich den Eindruck, dass sich dieser Mann eigentlich nur recht gut aus der Affäre gezogen hat, vielleicht sogar die Güte des Herrn berechnend.
Die beiden Schuldner stehen in enger Verbindung zueinander. Das macht das Verhalten des Unbarmherzigen noch skandalöser. Denn er sollte wissen, dass der andere vor dem Herrn in gleichem Maß anerkannt, ja geliebt wird. Somit ist sein Handeln nicht nur kleinlich, sondern missachtet zugleich den leicht zu erkennenden Willen des Herrn.
Zur Rechenschaft gezogen wären noch Ausreden denkbar, von denen das Evangelium nichts berichtet. Aber man kann sich ein „Das war mir nicht so bewusst“, „Das hat mir niemand gesagt“, „Ich habe doch verlangt, was mir zusteht“ durchaus vorstellen, was neben egoistischem Denken, Rücksichtlosigkeit und Engstirnigkeit auch Dummheit offenbaren würde. Solche Handlungen sind im Dienst des Herrn deplatziert.
So ist die „Entfernung“ des unbarmherzigen Schuldners nur konsequent. Seine drastische Strafe entspricht dem, was er selbst mit dem anderen getan hat (vgl. Mt 7,2b: „…nach dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird euch auch zugeteilt werden“).
Ein kleinliches Nachtragen von Schuld, ein stures Vorhalten von Fehlern und Unvollkommenheiten, ein Herumreiten auf den Schwächen bedeutet: Ein Mensch, der solches tut, hat nichts in einer Gemeinschaft von Christen verloren. Er missachtet eine der Grundregeln im Zusammenleben von Christen, wie sie nach Matthäus im gesamten 18. Kapitel überliefert werden. Eine christliche Konfliktkultur macht hier die ganze Tragweite der ständigen Bereitschaft zur Versöhnung – angesichts der Vergebung von Gott – bewusst. Wer das nur rhetorisch akzeptiert und nicht wirklich innerlich mitvollzieht, stellt sich mit seiner Härte selbst ins Abseits. Wem es nur um Forderungen an andere geht (wie berechtigt sie sein mögen), und wer dabei deren Relativität nicht wahrhaben will, widerspricht dem Geist des Evangeliums. Denn in dessen Sinn ist man einander die Liebe schuldig (vgl. Röm 13,8). Mit der Bereitschaft zur Vergebung wird das Herz des Christen offen und groß für alle, auch für jene, die an ihm schuldig geworden sind.