Konfliktkultur: Gerede - Rechenschaft über jedes unnütze Wort
„Ich sage euch: Über jedes unnütze Wort, das die Menschen reden, werden sie am Tag des Gerichts Rechenschaft ablegen müssen.“ (Mt 12,36)
Evangelium:
Rechenschaft über jedes unnütze Wort (Mt 12, 36-37)
Diese konkrete Mahnung erteilt Jesus während einer Verteidigungsrede gegen dumme Anschuldigungen von Seiten der Pharisäer. In der beschriebenen Situation sind die vorgebrachten Beschuldigungen wirklich allzu ärgerlich, weil offensichtlich blödsinnig. Man fragt sich, wieso die Pharisäer selbst nicht bemerken, welchen Unsinn sie reden. Aber sie sind für ihre eigene Dummheit blind. Aufgrund ihrer Vorurteile sind sie darauf fixiert, dass jemand, der einen anderen Weg der Verkündigung Gottes geht, abgelehnt werden muss.
Bei anderen Gelegenheiten wirft Jesus den Pharisäern vor, den Menschen mit Vorschriften unnötige Lasten aufzulegen (Mt 23,3-4; Lk 11,46); dass es ihnen um äußeres Ansehen und nicht um den Dienst an den Menschen geht (Mt 23,5-12; Mk 12,38-40; Lk 11,43; 20,46); dass sie das Himmelreich für die Menschen verschließen (Mt 23,13; Lk 11,52); dass der von ihnen verkündete Glaube die Menschen verdirbt (Mt 23,15); dass sie Spitzfindigkeiten mit einem Eid betreiben (Mt 23,16-21); dass sie über ihre Opfer und ihre Aktivitäten Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue vergessen, also das, worauf es wirklich ankommt (Mt 23,23; Lk 11,42) usw. Die Vorwürfe gegen die Pharisäer haben alle etwas mit ihrer Verkündigung und deren Stil zu tun. Hier gibt es viel Unnützes und sogar Schädliches. Nicht alles hat schlimme Folgen und, – das muss man den Pharisäern zugestehen –, es geschieht aus verständlichen Motiven:
- Das „Auflegen von Lasten“ mag geschehen, weil nach ihrer Erkenntnis dieses Tragen für einen vor Gott guten Lebensweg angemessen ist. Aber sie haben den konkreten Menschen aus dem Blick verloren“
- Das Streben nach äußerem Ansehen mag neben der Befriedigung des Bedürfnisses nach Anerkennung auch im Sinn einer Art missionarischen Vorbildfunktion verstanden werden – ein Pharisäer stellt sich der Öffentlichkeit! Indem er Beachtung findet, kann er auch seiner Botschaft von Gott Beachtung ermöglichen.
- Wenn sie das Himmelreich verschließen, so verstellen sie den Zugang. Es geht ihnen um alles Mögliche, auch um wichtige Dinge, aber sie kommen nicht mehr dazu, von Gott und dem Aufbau seines Reiches zu sprechen und Menschen einen Weg zu eröffnen. Und sie beschäftigen sich mit interessanten Diskussionen, vielleicht sogar über Glaubensfragen, nur Gott selbst wird dabei de facto vergessen.
- Das Gewinnen eines Gläubigen nach pharisäischen Maßstäben lässt sie die vielen Menschen übersehen, die nicht geordnet und angepasst ihr Leben gestalten. Die Pharisäer vermitteln weiters ihre Enge, ihre Oberflächlichkeit, ihre Vorurteile, ihre Methode und bringen ihre „Nachfolger“ dazu, in einer abgekapselten Denkwelt erstarrt zu denken und zu handeln. Es geht nicht um die Lebenswelt der Menschen, der man nicht mehr begegnet.
- Die Spitzfindigkeiten einer Eidesformel sind uns heute fremd. Aber das Verhalten der Pharisäer legt die Vermutung nahe, dass sie sich bestimmter Sprachformen bedienen, die ihnen die Möglichkeit geben, die Verbindlichkeit ihrer Worte quasi willkürlich festzulegen. Worauf man sich wirklich verlassen kann, ist dann nur Eingeweihten erkenntlich. Das ist ein Missbrauch der Sprache und macht Gespräche zu Wortspielen.
- Schließlich ist klar, dass Betonung von zweitrangigen Dingen bei gleichzeitigem Vergessen des Wesentlichen ein Irrweg ist. Obwohl der Pharisäer theoretisch sicher von der Wichtigkeit von Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue überzeugt waren und dieses ihrer Selbsteinschätzung nach hochgehalten haben, war ihr wirkliches Tun anders, weil sie die Dinge nicht im Geist Gottes zu sehen versucht haben. Und genau das macht dieses Tun vor Gott unnütz und ärgerlich.
Mit dem Blick auf eine christliche Konfliktkultur empfiehlt sich das Ernst-Nehmen von Mt 12,36 und das selbstkritische Hinterfragen der eigenen Sprachgewohnheiten. Was wird unnütz in dem Sinn geredet, dass es eigentlich Schaden bringt? Wieviel Polemik, Witz auf Kosten anderer, weil sie lächerlich gemacht werden, sollte besser unterlassen werden? Welche interessanten, aber im Sinn Gottes überflüssigen Themen binden Kräfte und Gedanken, die so für den Aufbau des Reiches Gottes verloren gehen? Welche Vorschriften und Schubladisierungen entsprechen eigenen Projektionen und Vorstellungen, vergessen aber, den Menschen in seinem Wert vor dem Angesicht Gottes zu suchen?
Es geht nicht bloß um Rhetorik, Gesprächsregeln und Stil, sondern um Kommunikationsformen, die aus einem geistlichen Streben heraus erwachsen müssen. Ohne regelmäßiges Überprüfen der eigenen Begegnungen und Worte in einer Gewissenserforschung, die immer sensibler und feinfühliger macht, kann das Maß an unnützer Rede nie kleiner werden. Verärgerungen, Zeitverschwendung und Gesprächsmüdigkeit sind dann die geringsten Konsequenzen von Sprach-Sünden.