Konfliktkultur: Verdächtigungen - Jesus beim Mahl mit den Zöllnern
„Ich bin gekommen, um die Sünder zur Umkehr zu rufen, nicht die Gerechten.“ (Lk 5,32)
Evangelium:
Jesus hält Mahl mit Zöllnern (Mt 9,9-13, Mk 2,15-17, Lk 5,27-32)
Jesus hält Mahl mit Zöllnern und Sündern – und sofort geht das Gerede los. Jesus spricht mit Außenseitern, ungeliebten und unliebsamen Personen, mit „den anderen“ und wird sogleich zumindest schief angesehen. Von diesem Kontakt bleibt etwas an ihm hängen. Es wird getuschelt, was er denn mit diesen gemeinsam habe, ein Karussell der Vermutungen, der Verdächtigungen und der Gerüchte kann beginnen.
In der hier beschriebenen Situation hat es Jesus relativ leicht, da ihm bzw. seinen Jüngern eine direkte und klare Antwort auf offen ausgesprochene Vorwürfe möglich ist. Außerdem ist offensichtlich, dass Jesus in diese Gesellschaft hineingerutscht ist, weil sein neuer Jünger – Levi bzw. Matthias – eben diese Gäste geladen hat.
Die Rollen sind eindeutig: die Zöllner wissen, dass sie unbeliebte Zöllner sind, die Sünder wissen ebenfalls um ihren Ruf. Jeder kennt seinen Platz in der Gesellschaft und in den Augen der anderen. Und da man „nebeneinander“ lebt, gibt es praktisch keine Berührungen und deshalb auch keine Konflikte auf dieser Ebene.
Eine christliche Konfliktkultur kann zunächst eine Konfliktvermeidungsstrategie herauslesen: die Rollen sollen eindeutig sein.
Für den „Seelsorger“ ist das klar: Da begegnet man den Gemeindemitgliedern, den Kranken, einigen Außenseitern usw. Auch im Laienapostolat sind die Rollen klar definiert: Der „Laienapostel“ bezeugt das Evangelium an seinem Arbeitsplatz, an seinem Wohnort usw. Aber wo jemand „Mensch unter Menschen“ ist, verschwinden die Rollen. Und so „normal“ das eigentlich ist, kann dies problematisch werden. Es gibt Begegnungen, mit denen man sich Verdächtigungen aussetzt, obwohl man bei diesem Kontakt sehr genau unterscheidet zwischen einer grundsätzlichen Wertschätzung des anderen als Menschen und seinem – vielleicht tatsächlich – problematischen Gehabe.
Im innerkirchlichen Bereich scheint eines der schlimmsten Dinge der Kontakt zu kirchlich Andersdenkenden zu sein: zu vermeintlichen oder wirklichen „Fundamentalisten“, „Progressiven“, „Liberalen“, „Konservativen“, zu jenen, die „ein anderes Kirchenbild haben“, usw. Wenn dann jemand nicht schon „über den Dingen“ steht, beginnen Unterstellungen, Verdächtigungen und Gerüchte. Das Nicht-abgrenzen, der Versuch, ein Gespräch zu führen, sogar das Verweigern der Zustimmung zu abwertenden Reden über „die anderen“ gilt als verdächtig… Denn manche differenzieren nicht zwischen der Wertschätzung einem Mitmenschen gegenüber, den Versuchen einer Vermittlung, dem Bemühen um Verständnis, dem Einnehmen einer anderen Sichtweise und einer „Anhängerschaft“.
Wer zu einem „innerkirchlichen Unbeliebten“ steht, egal aus welchen, vielleicht auch nur mitmenschlichen Gründen, macht sich selbst unbeliebt. – Im Vergleich dazu scheint heute der Kontakt mit – friedlichen – Atheisten oder mit Außenseitern der Gesellschaft unverdächtig, sogar anerkannt zu sein. Aber hier sind die Rollen eben klar.
Dennoch muss im Sinn einer christlichen Konfliktkultur das Vermeiden von Gerede, vorschnellen Beurteilungen, Verdächtigungen und Gerüchten eingemahnt werden. Eine Klärung ist nur selten möglich, weil ja vieles „hintenherum“ gesprochen wird. Das zeugt von mangelndem Vertrauen bzw. von Berührungsängsten und vergiftet die Atmosphäre. Allerdings widersprechen solche Bedenken und Ängste in Bezug auf den Kontakt und das Gespräch mit „andersdenkenden Christen“ dem Geist des Evangeliums, und ebenso die Weitergabe von Gerede, von Vorurteilen und von Gerüchten.