Konfliktkultur: Verführung - Wehe, wenn jemand einen zum Bösen verführt!
„Er sagte zu seinen Jüngern: Es ist unvermeidlich, dass Verführungen kommen. Aber wehe dem, der sie verschuldet.“ (Lk 17,1)
Evangelium:
Warnung vor Verführung (Mt 18,6-7; Mk 9,42; Lk 17,1-2)
Hier ist (vom griechischen Text her) von einem „Skandal“ die Rede. Ein Skandal ist wie ein Stein, über den man stolpert, über den man hinwegstürzt und über den man zu Fall kommt. Ein Skandal bringt jemanden zum „Fallen“.
Der in dieser Bibelstelle angesprochene Skandal wird durch einen Abfall vom Glauben hervorgerufen. Ein Abfall vom Glauben liegt in jedem Tun des Bösen, eigentlich schon in jeder Verführung zum Bösen, denn das ist ein Handeln gegen den Willen Gottes.
Jesus bezeichnet die Gläubigen als die „Kleinen“, die sich vor Gott bedürftig und zum Wachstum berufen wissen. Sie müssen geschützt werden, weil ihre Abwehrkräfte noch schwach sind. Sie sind als Mitmenschen in einer nicht immer nach dem Evangelium lebenden Umgebung verwundbar und beeinflussbar. Man kann ihnen sogar so stark und raffiniert zusetzen, dass sie vom Glauben ablassen.
Warum muss es diese Verführung zum Bösen geben? Von Gott her ist es kein „Muss“, denn er verführt nicht. Er stellt die Menschen nicht auf die Probe, aber die Geschichte zwischen Gott und der Welt ist getrübt von der Ablehnung Gottes durch die Menschen. Das zieht Kreise, errichtet eine Atmosphäre der Entfremdung, baut Strukturen der Sünde auf usw. Darin ist der Mensch gottes- und menschenfeindlichen Einflüssen ausgesetzt. Dem kann er nicht immer widerstehen. Nicht alle sind Helden, nicht alle sind so tief im Glauben verwurzelt, dass sie standhalten könnten.
Jesus klagt nicht Umstände oder Strukturen an, sondern konkrete Menschen, die das Böse fördern, in welchen Situationen und Positionen auch immer. Kein Kollektiv entschuldigt die Verantwortung des Einzelnen. „Mildernde Umstände“ beim Tun des Bösen bleiben Gott überlassen. Sie entziehen sich menschlicher Beurteilung, sosehr man sich um deren angemessene Beachtung bemühen sollte.
Es ist eine Verführung durch „die Welt“, die im Gegensatz zu den Grundregeln des Lebens in der Gemeinde (Mt 18) denkt und handelt. Diese „Welt“ existiert auch in der Gemeinschaft der Gläubigen. Das ist keine bloß lästige und ärgerliche Gegebenheit auf dem Weg der Wahrheit und der Vollkommenheit, sondern eine Grundbefindlichkeit der Kirche als Kirche der Sünder, die allerdings zur Heilung und zur Heiligkeit berufen ist.
Jesus unterscheidet zwischen Verführtem und Verführer. Der Verführte/Verirrte kann mit der Anteilnahme, den Bemühungen und der Vergebung der Mitchristen rechnen, die ihm zum Guten helfen wollen (vgl. Mt 18,12-35; Lk 15,4-7). Der Verführer hingegen, der sich in den Dienst einer bösen Sache gestellt hat, wird die Tragweite seines Tuns zu spüren bekommen. Als einer, der nicht liebt, ist er eigentlich „tot“. Darin schließt das in der Heiligen Schrift beschriebene Bild vom Mühlstein um den Hals und das Versenken im Meer an. Es wäre besser, das irdische Leben zu verlieren als das ewige (Mk 8,35-36; Mt 16,25-26; Lk 9,24-25). Es wäre besser, unter persönlichen Nachteilen das Böse abzuwehren als ihm wegen kurzfristiger Vorteile nachzugeben (vgl. Mt 18,8-9; Mk 9,47; Mt 25, 46),
Im Sinn einer christlichen Konfliktkultur muss gewarnt werden. Man möge Acht geben, nicht selbst – unbewusst, ungewollt – andere im Glauben zu verwirren, sie zum Stolpern und Fallen zu bringen, den Glauben mies zu machen oder anderes an seine Stelle zu setzen. Es genügt schon die Weitergabe von Lieblosigkeit, um andere durch abwertende Worte und durch das schlechte Beispiel von einem Stück Glaubensbeziehung abzubringen. Der Schlagfertigkeit oder dem Reizvollen gebührt kein Applaus, wenn dies nicht mit der Liebe in Zusammenhang steht.
Die zweite, deutlichere Warnung ergeht an jene, die bereits bei der Verbreitung von Bösem mittun, wobei die persönliche Verantwortung unterschiedlich sein kann. Das Rädchen im System ist anders verantwortlich als jener, der sich mit seiner ganzen Persönlichkeit einsetzt. Trotzdem gilt für beide: Wehe! Sie sind vor Gott verantwortlich.
Auch eine christliche Konfliktkultur trägt Verantwortung, weil sie dies in Erinnerung rufen muss (vgl. Mt 18,15-20) und die Dinge niemals einfach laufen lassen darf. Jeder Mensch ist zu kostbar, als das man sich mit seinen Lebensirrtümern achselzuckend abfinden könnte. Es gilt, allen Menschen das Evangelium zu verkünden.