Konfliktkultur: Unverständnis - Der zwölfjährige Jesus im Tempel
„Doch sie verstanden nicht, was er damit sagen wollte.“ (Lk 2,50)
Evangelium:
Der zwölfjährige Jesus im Tempel (Lk 2, 41-52)
Der hier angesprochene Konflikt spitzt sich in den Versen 48 und 49 zu. Hier erteilt Jesus seinen Eltern eigentlich eine Abfuhr. Sein Tonfall mag etwas milder klingen, als es heutzutage Heranwachsende ihren Erziehungsberechtigten gegenüber pflegen, aber in der Sache ist er unbeirrbar, ja hart. Maria und Josef müssen die Selbstständigkeit und das Erwachsen-Werden des Sohnes anerkennen. Ihre Sorge und Verantwortung wird relativiert. Sie haben ihre wichtigste elterliche Aufgabe erfüllt. Sie sind mit dem Mündig-Werden des Kindes nicht mehr für dessen Leben letzt-entscheidend.
Die Hauptintention des Textes liegt nicht in der Beschreibung des Ablösungsprozesses eines Jugendlichen von seinen Eltern, dennoch ist dies inbegriffen. Wesentlicher als die Loslösung von der Familie ist die Hinwendung Jesu zu seiner eigenen Berufung. Diese bestimmt die neue Lebensphase, während die Bedeutung der Familie zurücktritt. Dies entspricht „typologisch“ der Situation aller Heranwachsenden. Nur die Einmaligkeit der Personen macht den Unterschied zu ähnlichen Ablösungsprozessen in allen Familien dieser Welt aus. Diese Gedanken greifen für eine umfassende Erklärung dieser Bibelstelle zu kurz, aber für die Suche nach einer christlichen Konfliktkultur sind sie hilfreich.
Die persönliche Berufung, die Gott jedem Menschen schenkt, steht an erster Stelle im Leben. Das gilt es zu berücksichtigen. Ein noch so sorgsam geführtes und geglücktes Familienleben (und wer wollte zweifeln, dass die heilige Familie kein solches „gutes Familienleben“ geführt hätte?) kann bei den einzelnen Familienmitgliedern nicht die Berufung von Gott her ersetzen.
Der Konflikt des zwölfjährigen Jesus wird gelöst, indem die nicht verstehenden Eltern die Sache ohne weiteres Tamtam auf sich beruhen lassen. Maria frisst dieses Problem in sich hinein (sie „bewahrt es im Herzen“) und Jesus bleibt seinen Eltern gehorsam. Von Seiten Jesu bedeutet dies die Anerkennung der elterlichen Autorität.
Aber das Unverstandene bleibt unverstanden. Ein klärendes Gespräch findet nicht statt, die Haltung Jesu macht dies überflüssig. (Das mag jene Erzieher beruhigen, die manchmal sprachlos gegenüber den ihnen anvertrauten Heranwachsenden sind.) Die Eltern können sich auf ihren Sohn verlassen, auch wenn er seine Selbständigkeit und grundsätzliche Unabhängigkeit bewiesen und unmissverständlich bekräftigt hat. Eine Berufung von Gott her ist vorrangig, aber sie rechnet menschlich; sie beinhaltet die Berücksichtigung gesellschaftlicher und familiärer Verhältnisse und Zuordnungen. Der Gehorsam Jesu ist als aufmerksames „Hören“ auf die Eltern, ihre Lebenserfahrung und ihre Fürsorge zu verstehen. Aber jede Autorität muss den grundsätzlichen Vorrang einer persönlichen Berufung anerkennen und jene Freiheit geben, die dafür nötig ist. Dies gilt, auch wenn nicht alles verstanden wird. Erleichtert wird dies, wenn die Erfahrung von Zuverlässigkeit und einem rechten Gebrauch der Freiheit schon gemacht wurde.