Konfliktkultur: Verschwendung - Eine Sünderin salbt Jesus die Füße
„Die Armen habt ihr immer bei euch, mich aber habt ihr nicht immer bei euch.“ (Joh 12,8)
Evangelium:
Die Begegnung Jesu mit der Sünderin (Mt 26,6-13, Mk 14,3-9, Lk 7,36-50, Joh 12,3-8)
Diese Situation wird im Evangelium in unterschiedlichen Zusammenhängen erzählt. Bei Lukas findet diese Begegnung im Haus eines Pharisäers in der Zeit von Jesu öffentlichem Wirken statt (und nur hier ist von einer „Sünderin“ die Rede). Bei Matthäus, Markus und Johannes ereignet sich dies in Bethanien am Vorabend des „letzten Abendmahls“.
Bei Lukas erregt sich der Pharisäer darüber, dass die Sünderin eine Sünderin ist und sich in seinem Haus um seinen Gast kümmert. Jesus weist jedoch auf die Aufmerksamkeit und Wohltat dieser Frau hin. Dass eine Sünderin aufmerksamer und gastfreundlicher als der Gastgeber ist, muss diesen beschämen – und hoffentlich zu einem Stück Selbsterkenntnis führen.
Jesus erklärt, dass Sünden auf der einen Seite durch Liebe auf einer anderen Seite vergeben werden. Von Umgekehrtem ist nicht die Rede. („Wenn ich etwas Gutes tue, kann ich mir die eine oder andere Sünde schon leisten.“: Das wäre unsinnig.)
Für eine christliche Konfliktkultur ist das ein Aufruf, in der Person des anderen stets den ganzen Menschen, und da vor allem seine guten Seiten zu sehen. Eine Abkapselung gegenüber jemandem, der Falsches getan hat oder noch tut, verbietet sich. Vielleicht ist jener sogar einem „Gläubigen“ an Freundlichkeit, Spontanität der Zuwendung und Aufmerksamkeit für die alltäglichen Bedürfnisse überlegen. Vielleicht ist der Pharisäer – und mancher unter uns – so scharfsinnig und an einem klugen Gespräch interessiert, dass er und wir das Naheliegende übersehen bzw. gar nicht verstehen.
In positivem Sinn kann mit einiger Phantasie eine Anregung für eine Sitzungskultur entnommen werden: die Begrüßung, das Willkommenheißen der Anwesenden, eine kleine Aufmerksamkeit sind unter Umständen vor Gott wichtiger als der Inhalt der Besprechung selbst, was deren sachliche Bedeutung nicht schmälert…
Bei Matthäus, Markus und Johannes regen sich Apostel über die Verschwendung auf (bei Matthäus sind es „die Jünger“, bei Markus „einige“, bei Johannes nur „Judas“). Man hätte das Geld für die Armen sinnvoller verwenden können. Aber Jesus ist kein „Moralist“. Er fordert keine ausschließliche Verwendung des Geldes für die Linderung von Not, die niemals vollends beseitigt werden kann. Das ist eine Erleichterung, da man ansonsten ununterbrochen aufgefordert wäre, über jeden Cent nachzudenken und sich letztendlich vor Gott zur Rechenschaft gezogen zu wissen. Das wäre kleinlich, vor allem, wenn man sowieso immer wieder finanzielle und andere Beiträge als Hilfe für Bedürftige leistet. Jesus bricht eine Lanze für das Verschwenderische der Liebe. Liebe ist ein Fest. Und ein Fest muss gefeiert werden. Knausrigkeit ist hier fehl am Platz.
Im Sinn einer christlichen Konfliktkultur ist die Verschiedenheit der Aufgaben in unserer Kirche zu beachten. Sie können nicht gegeneinander ausgespielt werden. Sowohl für die Caritas als auch für die künstlerische Gestaltung von Gottesdiensträumen soll Geld Verwendung finden, ohne dass jemand dem anderen Zweck seine Berechtigung absprechen oder bis auf den Cent genau die Notwendigkeit des Aufwandes kontrollieren müsste. Sicher ist zwischen wichtigen und unwichtigen Aufgaben zu unterscheiden. Und viele wichtige Bereiche bräuchten immer mehr finanzielle Unterstützung, als sie erhalten.
Das Maß des Evangeliums zeigt den Vorrang jener Dinge, in denen mehr Liebe ist. Jesus geht es nicht um eine wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung, sondern um das Beispiel der Liebe, das diese Frau tatsächlich für die ganze Welt gegeben hat.
Um nicht beim Geld stehen zu bleiben, soll auf etwas hingewiesen werden, mit dem ebenso umzugehen ist: auf die Zeit, die einerseits den notwendigen Tätigkeiten gewidmet sein muss, andererseits erst im verschwenderischen Freiraum der Liebe ihre Erfüllung findet. Aktion und Kontemplation gehören zusammen, Rastlosigkeit oder ausschließliche Beschaulichkeit sind keine Tugenden. Arbeit und Muße, Pflichterfüllung und Freude müssen gemeinsam Raum in einer christlichen Lebensgestaltung haben. Wie weit orientieren wir uns daran in unseren kirchlichen Engagements?