Konfliktkultur: Weitsicht - Das Gleichnis vom Unkraut und vom Weizen
„Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Wenn dann die Zeit der Ernte da ist, werde ich den Arbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündeln, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune.“ (Mt 13,30)
Evangelium:
Das Gleichnis vom Unkraut und vom Weizen (Mt 13,24-30. 34-36)
Der Mann tut sein Möglichstes, damit seine Arbeit gute Früchte hervorbringt. Aber es gibt ein Problem, das sich erst im Laufe der Zeit zeigt. Der Mann und all seine Mitarbeiter haben geschlafen – wie jeder Mensch nicht immer nur wachsam sein kann – und der erwähnte Feind braucht nur ein paar Minuten, um seine Saat des Misstrauens und der Verwirrung zu säen.
Alles braucht seine Zeit zum Wachsen, bevor die Qualität der Pflanzen sichtbar wird. Das Gute und das Böse, das Nützliche und das Unnütze, das Wichtige und das Überflüssige sind manchmal nicht sofort unterscheidbar. So kommt das große Erstaunen, die Erkenntnis und die kritische Rückfrage erst später: Wurde von uns nicht nur Gutes gesät? Haben wir nicht das Beste gewollt? Wieso ist das Ergebnis anders?
Die Antwort ist einfach: Von außen kommt das Problem, das aber jetzt mitten unter uns Wurzeln geschlagen hat. Damit stehen wir vor einem Dilemma: zwar könnten wir alle Störungen beseitigen, aber das wäre mit einem enormen Aufwand verbunden. Zwangsläufig würden wir manches Gute mitzerstören: wo etwa die Wurzeln von Unkraut und Weizen zu nahe beisammen sind; wenn aus Versehen ein guter Halm entfernt wird; wenn im Eifer der Arbeit andere Weizenhalme niedergetreten werden oder überhaupt die Pflege des Feldes vor lauter Ausreißen zu kurz kommt.
Natürlich könnte man sich dem Ärgerlichen widmen und ein Verärgerter bleiben. Im Blick hat man das Störende. Auf die Pracht des Weizens achtet man nicht – soll man unter diesen Umständen gar nicht achten –, da man auf das Unkraut fixiert ist.
Die Trennung zwischen Brauchbarem und Unbrauchbarem in diesem Gleichnis erfolgt erst bei der Ernte. Diese Unterscheidung ist konsequent. Das vielleicht schön blühende Unkraut kommt weg, denn nur der Weizen ist sinnvoll und kann Nahrung abgeben.
Die Deutung dieses Gleichnisses kann auf mehreren Ebenen erfolgen. Jesus stellt es in den Zusammenhang mit dem Gericht am Ende der Welt (Mt 13, 36-52). Im Sinn einer christlichen Konfliktkultur möchte ich aber auch andere Anregungen geben:
Da ist einmal die gute Absicht und die eigentlich fehlerfreie Ausführung des Plans durch den Mann: Er tut sein Bestes. Dass dennoch Störungen kommen, liegt nicht an ihm. Das ist schlicht eine Realität, die er nicht verhindern kann. Ebenso ist Schlaf, die Müdigkeit, die Unachtsamkeit, eine nicht überwindbare Realität des Lebens. Sogar die mangelnde Wachsamkeit gegenüber der Sünde bzw. deren Einfluss ist für einen endlichen Menschen unvermeidbar. (Und deshalb braucht es das Bemühen um fortwährende innere Erneuerung bzw. Umkehr.)
Das nutzt der „Feind“ aus, der vom Guten ablenken will. Einerseits können die eigenen Gedanken, Worte und Taten, die in Unachtsamkeit entgleiten und Unruhe stiften, der Grund für eine kurzzeitige Vernachlässigung der Ernte sein. Andererseits kann das Problem von außen durch Störenfriede verursacht werden, die man als solche vielleicht gar nicht erkennt und deren Tun man nicht durchschaut. Erst im Nachhinein weiß man mehr. Dann sind diese meistens weg; eventuell sitzen sie noch da, haben aber in der Zwischenzeit von ihrem feindlichen Tun abgelassen.
Man sieht das Durcheinander von Gutem und Ungutem. Dabei ist Unkraut oft bunter und prächtiger als Getreide. Für den außenstehenden Betrachter, sogar für Insider, die nichts mit Feldarbeit zu tun haben, mag das ein hübscher Anblick sein. Vom Gesichtspunkt eines Malers zum Beispiel könnte das Unkraut sogar als das Bessere betrachtet werden. Aber die Mitarbeiter lassen sich von diesem äußeren, rein ästhetischen Eindruck nicht beirren. Doch eine Verwirklichung ihrer Idee, das ganze Unkraut zu entfernen, würde in keinem Verhältnis zum Aufwand stehen. Außerdem kann der Eifer gegen das Unnütze blind machen für das Nützliche. Wer intensiv mit dem Ausreißen zu tun hat, kann zumindest zeitweise seine eigentliche Aufgabe der Pflege vergessen. Das soll nicht übersehen werden: nicht bei der Beobachtung von Ereignissen in Kirche und Welt, nicht bei Unternehmungen in kleinen Gruppen, nicht bei der Betrachtung eines Mitmenschen, nicht bei der eigenen Gewissenserforschung über das Ackerfeld in mir selbst.
Eine Entscheidung steht für die Zeit der Ernte an und folgt unter dem ursprünglichen Gesichtspunkt: Es soll Weizen sein! Es soll Getreide geerntet werden! Das ist vielleicht langweiliger als Blumenpflücken und mag weniger Spaß machen. Aber man muss sich klar vom Unkraut verabschieden, ohne falsche Rücksichtnahme, ohne verärgerten Rückblick und ohne übermäßige Wut über den Feind oder über die zusätzliche, mühsame Arbeit. Die entscheidende und wichtigste Aufmerksamkeit gebührt dem guten Getreide, das für die Verwertung als Nahrung, als lebenswichtiges Gut aufbewahrt und zu seiner Zeit verwendet werden soll.
Aus diesem Gedanken ergibt sich eine Vielfalt von Anstößen für eine christliche Konfliktkultur. Bedeutsam ist die Ruhe und Konsequenz des Mannes, der nicht über Verwirrung klagt, sich nicht beim Negativen oder dessen Beseitigung aufhält, sondern das gute Ziel immer vor Augen behält; der alles bedenkt, was diesem Ziel auch unter veränderten Umständen und unter Störungen am dienlichsten ist. Er bleibt gegenüber dem Unguten unbeirrbar. Er bringt das Erreichte in Sicherheit für seinen späteren, lebenswichtigen, unspektakulären Zweck.