Pluralität – kein „Schonprogramm“. Kulturtechniken für ein „gutes Leben“ in Vielfalt
Dr. Eva Grabherr
okay.zusammen leben/Projektstelle für Zuwanderung und Integration
Die Pluralität und Diversität unserer Gesellschaft wird zunehmen, nicht abnehmen:
Die kulturelle, also religiöse, ethnische und sprachliche Pluralität unserer Gesellschaft wird in den nächsten Jahren nicht abnehmen, sondern zunehmen. Dafür braucht es als Beleg nicht einmal die derzeit überaus aktuelle Fluchtmigration nach Österreich und Europa generell. Auch bereits die 2007 veröffentlichten demographischen Szenarien des Vienna Institute of Demography der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zur Bevölkerung Österreichs nach Religionsbekenntnis im Jahr 2051 verwiesen schon auf eine deutliche Zunahme der „Buntheit“ in religiöser Hinsicht in allen Szenarien. Bleibt Österreich wirtschaftlich stark, wird auch die Zuwanderung aus anderen EU-Ländern hoch bleiben, was die sprachliche und herkunftskulturelle Buntheit verstärken wird. Im Bereich der Pflege und der Gesundheit sind wir schon länger auf Arbeitskräfte aus anderen Ländern angewiesen. Und auch die Globalisierung bringt beruflich und auch bereits in der Ausbildung immer mehr Menschen unterschiedlicher Länder miteinander in Kontakt, was wiederum grenzübergreifende Migration nach sich zieht.
Die Quelle heutiger Pluralität in Industriegesellschaften ist also in erster Linie Migration. Dadurch steht sie auch in Verbindung mit Konflikten, denn Prozesse der Aufnahme neu dazu gekommener bzw. als neu wahrgenommener Gruppen im sozialen Raum sind in sich konflikthaft. Sie nähren In-Group–Out-Group–Konstellationen, wie das in der Sozialpsychologie heißt, und je nach Rahmen und Situation können diese Prozesse mehr oder weniger konflikthaft verlaufen. Nachweisbar ist die Konflikthaftigkeit solcher Prozesse u.a. auch in hohen gegenseitigen Antipathiewerten zwischen Gruppen in Umfragen. Zugleich belegen Befragungen der letzten Jahre in Deutschland und Österreich jedoch auch, dass die Menschen das konkrete Zusammenleben in ihrer vielfältig gewordenen Nachbarschaft weit positiver bzw. neutraler beschreiben als Studien über die Wahrnehmung von MigrantInnen oder fremdreligiöser Gruppen das erwarten ließe.
Ein erster Zwischenbefund:
In den nächsten Jahren werden zunehmend mehr Menschen mit der Pluralität unserer Gesellschaft in Berührung kommen bzw. ihrer gewahr werden. Pluralitätskonflikte, wie wir sie im Zusammenhang mit der Etablierung des Islam in Österreich kennen, werden uns weiter begleiten. Das konkrete Zusammenleben der Menschen muss zwar nicht krank geredet werden, denn wir leben bereits in einer pluralisierten Gesellschaft und vieles läuft gut. Es mehren sich aber auch Zeichen des Unbehagens von Bevölkerungsgruppen gegenüber dieser Pluralisierung. Dieses Unbehagen kann sich in konkreten Situationen – wie bspw. muslimischen Bauvorhaben oder der Anerkennung einer Migrantensprache als Maturafach – in Konflikte entladen. Es kann sich im Wahlverhalten zeigen, wenn vermehrt Parteien Zuspruch erfahren, die kollektiv gruppenabwertend agieren und damit In-Group–Out-Group-Dynamiken befördern anstatt sie zu transformieren. Es kann zu Entfremdungsgefühlen von Menschen in ihrer engeren sozialen Umgebung und in der Gesellschaft führen und damit das soziale Vertrauen, das eine moderne Gesellschaft für ihr Funktionieren braucht, unterhöhlen. Es kann als Folge dieser Unterhöhlung sozialen Vertrauens zu einer Verminderung der Kooperationsbereitschaft (für die Gestaltung des Gemeinwesens, in Institutionen, in der täglichen Interaktion in der Lebenswelt etc.) kommen. Es kann die soziale Integration der Mitglieder der von der Mehrheitsbevölkerung kritisch bewerteten Gruppen in die Gesellschaft und deren umfassende Partizipation erschweren und deutlich verlangsamen. Und vieles andere mehr.
Handlungsmöglichkeiten:
Es macht gesellschaftspolitisch also Sinn, sich Gedanken darüber zu machen, wie wir die als neu wahrgenommene gesellschaftliche Pluralisierung, die auch noch zunimmt, als Gemeinwesen gut bewältigen. Eine Dimension des Gestaltens ist die strukturelle und institutionelle Ebene: Es braucht rechtliche Rahmenbedingungen und institutionelle Angebote, die das Ankommen von Neuen und deren Eingliederung in die neue Gesellschaft unterstützen und damit die Voraussetzungen für Chancengerechtigkeit und rechtliche Gleichstellung ungeachtet von Herkunft schaffen. Darüberhinaus braucht es jedoch auch Augenmerk für die sozialen Dimensionen des Prozesses. Was wirkt in Richtung Transformation von gruppen-bezogenen Vorurteilen und damit gegen die Verfestigung von In-Group–Out-Group–Konstellationen ist dafür eine entscheidende Frage. Denn in einer Demokratie müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie die institutionellen und damit von allen bezahlten Angebote nicht nur legal, sondern auch legitimiert sein. Es braucht auf Dauer also eine genügend breite Trägerschaft „von unten“ dafür.
Das Programm „docken. Begegnung – ein Elixier für eine vielfältige Gesellschaft“ der Projektstelle „okay.zusammen leben“ macht für diese Fragestellung die Erkenntnisse der langjährigen „Kontaktforschung“ (vor allem des angelsächsischen Wissenschaftsraumes) fruchtbar und setzt damit nicht nur auf Basis einer Ahnung, dass es so sein könnte, sondern wissenschaftlich fundiert auf die herkunftsgruppenübergreifende Begegnung von Menschen, eine soziale Praxis solcher Begegnungen im Sinne ihrer bewussten Herbeiführung und Gestaltung und – betrachtet als Basis für das alles – auf die Befähigung möglichst vieler Einzelner ungeachtet ihr Rolle in Systemen als Promotorinnen und Promotoren solcher Begegnungen. Dieses Programm bildet den Fokus der Ausführungen des Vortrags.
Vertiefende Informationen:
Zum Programm „docken. Begegnung – ein Elixier für eine vielfältige Gesellschaft“